weil wir nicht Hermine Granger sind
„Manchmal wäre ich gerne Hermine Granger. Dann könnte ich Dienstag meine Präsentation halten und trotzdem den 2. Geburtstag meiner Nichte in Deutschland feiern. Leider habe ich keinen Zeitumkehrer“.
Kim ist 33 Jahre alt und lebt seit 6 Monaten in London. Sie ist eine von ca. 1,9 Millionen Deutschen, die im Ausland leben und arbeiten (*). Kim leidet unter Schlafproblemen, fühlt sich häufig überfordert im Job und hat oft das Gefühl am falschen Ort zu sein – etwas zu verpassen.
Fear of missing out
Die Angst davor etwas zu verpassen wird auch als FOMO fear of missing out bezeichnet und ist ein Phänomen besonders unter jungen Menschen aus westlichen Ländern.
Dank Facebook, Instagram und Co. haben wir das Gefühl jeden Schritt unserer Freunde und Familie zu sehen, aber wir können eben nicht überall dabei sein. In diesen Momenten werden laut Nicola Rohner (*) vier Grundmotive bedroht:
~ Anschlussmotiv: Die damit einhergehende Angst, aus der Herde ausgeschlossen zu werden.
~ Anerkennungsmotiv: Welches wir oft zu befrieden versuchen, indem wir Erwartungen erfüllen, also mitreden, schnell reagieren, Einladungen, Optionen und Angebote wahrnehmen.
~ Sicherheitsmotiv: Das uns alle innewohnende Bedürfnis nach Sicherheit wird vermeintlich befriedet, indem wir möglichst viele Eisen im Feuer haben.
~ Kontrollmotiv: Die Annahme, dass wenn wir überall ein bisschen beteiligt sind, wir den Überblick und damit die Kontrolle haben.
Work-Life
Menschen, die entfernt von ihrer Familie und ihren Freunden leben wie Expats, sind davon besonders betroffen. Denn das Leben im Ausland kann das Gefühl autonom, kompetent und verbunden zu sein einschränken, was zu FOMO führt.(*)
Der Work-Life Survey (*) zeigt, dass 44,6% der Expats besonders darunter leiden, dass sie nicht am Leben zuhause teilnehmen können. Aber auch Rückkehrer kennen es. Je mehr man von der Welt gesehen hat, desto bewusster ist einem, was man alles verpasst: Tapas in Barcelona, After-Work-Beer in London, die tolle Bergwanderung in den Rocky Mountains.
Ergebnisse aus dem Work-Life-Survey (*)
Aus FOMO kann das Gefühl von Isolation entstehen und Symptome einer Depression befördern. Eine Studie der Aetena International (*) zeigte, dass Expats 2,5 mal gefährdeter sind eine psychische Störung zu entwickeln. Gründe können das fehlende Netzwerk, erhöhte Arbeitsbelastungen und wenig Ausgleich sein.
Hilfe
Kim hat sich Hilfe gesucht. Am Sonntagnachmittag treffen wir uns „virtuell“. Ich bin Diplom-Psychologin und habe mich auf die Arbeit mit Expats und anderen im Ausland lebenden Deutschen spezialisiert.
Ich bespreche mit ihr welche Möglichkeiten es gibt FOMO zu begegnen und was sie sich vorstellen kann zu verändern. Ein Schlüssel ist der Realitätscheck: Ist das Gras wirklich grüner auf der andern Seite? Wir nehmen uns die Zeit auch auf die positiven Bestandteile ihres Alltags zu schauen und Prioritäten bewusst zu setzen. Wir gehen der Frage nach, was Kim glücklich und zufrieden macht. Wir sammeln gemeinsam Kims Ressourcen und Strategien das Handy auch mal beiseite zu legen und bewusst im Hier und Jetzt zu sein. Ich zeige ihr außerdem Übungen, die an Achtsamkeit, Yoga und Meditation angelehnt sind.
Für Kim ist FOMO nur ein Teil der Herausforderungen. Denn über alldem schwebt immer wieder die Frage: „Bin ich hier richtig? Was möchte ich im Leben? Was ist mir wichtig?“ Fragen für die es keine einfachen Antworten gibt. Aber gemeinsam machen wir uns auf den Weg sie zu erkunden – auch ohne Zeitumkehrer.
~
Dipl.-Psych. Benthe Untiedt